Die Proteste der „Letzten Generation“  – Teil 1: Die Versammlungsfreiheit

· · ·

Die Aktivist:innen der „Letzten Generation“ erzeugen durch ihre Protestaktionen viel Aufmerksamkeit. Doch wie sind die verschiedenen Aktionen aus verfassungsrechtlicher Sicht zu bewerten? Es springt sofort die in Art. 8 des Grundgesetzes (GG) gewährleistete Versammlungsfreiheit in den Blick. Art. 8 GG lautet:  

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. 

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.“ 

Die Versammlungsfreiheit soll auch Minderheiten in einer Gesellschaft die Möglichkeit geben, ihre Standpunkte gegenüber der Mehrheit deutlich zu machen. So sagt das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), dass die Versammlungsfreiheit ein „demokratisches Bürgerrecht zur aktiven Teilnahme am politischen Protest“ ist. 

Schutz durch die Versammlungsfreiheit 

Das Grundgesetz erklärt nicht, was eine Versammlung ist. Das BVerfG sagt vereinfacht: Eine Versammlung ist ein örtliches Treffen von mehreren Personen mit dem Zweck, gemeinsam an der öffentlichen Meinungsbildung durch Meinungskundgabe teilzuhaben. Nach diesen Grundsätzen handelt es sich bei den meisten Aktionen der „Letzten Generation“ um Versammlungen i. S. d. Art. 8 Abs. 1 GG. 

Es treffen sich – sei es beim Festkleben auf der Straße, an Bilder(rahmen) oder dem Besprühen von Gebäuden – mindestens zwei (= mehrere) Personen und verbreiten Botschaften zum Klimaschutz (= Meinungskundgebung). Diese bezieht sich auf eine für die öffentliche Meinungsbildung relevante Thematik – das Vorgehen gegen den menschengemachten Klimawandel.  

Wichtig für die Aktionen der „Letzten Generation“ ist, dass die Versammlungsfreiheit auch die freie Wahl von Ort, Zeit und Mitteln der Versammlung gewährleistet. Dass die von der Gruppe gewählte Art der Meinungsäußerung durch Sitzblockaden und Festkleben umstritten ist, spielt also keine Rolle. Insbesondere das Festkleben auf der Straße ist eng mit dem Ziel des Protests verknüpft, da auch gegen die Emissionen im Verkehrssektor protestiert wird. Außerdem erfasst die Versammlungsfreiheit grundsätzlich auch provokante Äußerungen und Protestaktionen, die der Versammlung mehr Aufmerksamkeit verschaffen. 

Friedliche Versammlungen?  

Eine große Hürde bei den Aktionen der „Letzten Generation“ ist, dass die Versammlungsfreiheit nur friedliche Versammlungen schützt. Unfriedlich ist eine Versammlung, wenn Handlungen bei einer Versammlung nicht unerhebliche Gefahren verursachen. Dies ist anzunehmen, wenn beispielsweise aggressive Ausschreitungen oder Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen stattfinden. Die bloße Behinderung von anderen Personen, z. B. Verkehrsteilnehmer:innen, genügt aber nicht. 

Es kommt für die Beurteilung der Friedlichkeit einer Versammlung auf den Einzelfall an. Grob lässt sich aber sagen, dass das Festkleben an oder Bewerfen von wertvollen Gemälden eher als unfriedlich anzusehen ist, das Festkleben an einer Straße dagegen nicht. Denn im ersten Fall werden die Gemälde und/oder die Rahmen (= fremdes Eigentum) in der Regel nachhaltig beschädigt, was im zweiten Fall bei der Straße grundsätzlich nicht der Fall ist. 

Das Festkleben an oder Bewerfen von Gemälden ist deshalb eher nicht von der Versammlungsfreiheit erfasst. Das Festkleben auf der Straße ist dagegen als friedliche Versammlung von der Versammlungsfreiheit geschützt. Eine Beschränkung oder Auflösung der Versammlung bedarf somit einer Rechtfertigung. 

Rechtfertigung von Maßnahmen gegen die „Letzte Generation“ 

Nach Art. 8 Abs. 2 GG können Versammlungen unter freiem Himmel durch andere Gesetze – wie die Versammlungsgesetze der Bundesländer – beschränkt werden. Dabei müssen alle staatlichen Maßnahmen, die Grundrechte von Bürger:innen beschränken, verhältnismäßig sein. Das bedeutet: Sie müssen einen legitimen Zweck verfolgen und geeignet, erforderlich und angemessen sein, den Zweck zu erreichen. 

Wird eine Sitzblockade von Aktivist:innen, die sich auf der Straße festgeklebt haben, von der Polizei aufgelöst, so verfolgt der Staat damit das legitime Ziel, die Sicherheit und Reibungslosigkeit des Straßenverkehrs wiederherzustellen. Eine Auflösung eignet sich, dieses Ziel zu fördern: Der Verkehr kann wieder ungestört fließen. 

Um das Ziel zu erreichen, gibt es in der Regel auch keine anderen Mittel, die im Vergleich zur Auflösung der Versammlung weniger belastend und gleich wirksam wären. So wäre eine Umleitung der Autofahrenden nicht gleich wirksam, da dies mit Blick auf eine Überlastung der Ausweichstrecke die Reibungslosigkeit des Verkehrsflusses nicht in gleicher Weise sicherstellt. Die Auflösung ist also auch erforderlich. 

Schließlich müsste eine Auflösung mit Blick auf die große Bedeutung der Versammlungsfreiheit für die Demokratie auch angemessen sein. Dafür darf die Versammlungsfreiheit der Aktivist:innen im Verhältnis zum verfolgten Zweck nicht übermäßig eingeschränkt werden. Ob die Auflösung eine angemessene Maßnahme ist, kann nur entschieden werden, indem man Versammlungsfreiheit der Aktivist:innen auf der einen Seite gegen die Sicherheit und Reibungslosigkeit des Straßenverkehrs (und dessen Bedeutung für den Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 GG) auf der anderen Seite „abwägt“. Generell sind hierbei die Dauer und Schwere der Beeinträchtigungen zu berücksichtigen, genauso wie die Wahl des Versammlungsorts. Beispielsweise ist die Auflösung einer lang andauernden Blockade einer Hauptverkehrsstraße eher gerechtfertigt als die einer kurzen Blockade einer Nebenstraße.  

Eine Auflösung kann insbesondere dann gerechtfertigt sein, wenn es nicht mehr um die geistige Auseinandersetzung, also den Austausch gegensätzlicher Standpunkte und die Darstellung der eigenen Meinung in Form des Protests, geht. Dies ist der Fall, wenn die Aktionen darauf angelegt sind, dass durch zielgerichtete Ausübung von Zwang Dritte darin behindert werden, ihre Grundrechte auszuüben. Dies dürfte bei den Sitzblockaden in der Regel der Fall sein. So handelt es sich beim Festkleben nicht um eine kurzfristige Störung, die man als Verkehrsteilnehmer:in hinnehmen müsste, sondern es soll eine möglichst langanhaltende Beeinträchtigung erzeugt werden. Die von der Blockade betroffenen Verkehrsteilnehmer:innen haben keine Möglichkeit, dieser auszuweichen. Sie können ihre Autos nicht mehr wie gewollt nutzen – ihr Grundrecht der sog. Allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) ist eingeschränkt. 

Allerdings kommt es immer auf den Einzelfall an, ob die Versammlung beschränkt oder aufgelöst werden darf. Es muss genau geprüft werden, wo die Aktion der „Letzten Generation“ stattfindet (z. B. auf einer Autobahn), was es für Umleitungsmöglichkeiten gibt und wann die Aktion stattfindet (z. B. während der „rush hour“). 

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass zumindest die Straßenblockaden der „Letzten Generation“ grundsätzlich Versammlungen im Sinne des Art. 8 GG sind. Sie genießen also dessen Schutz. Allerdings gilt die Versammlungsfreiheit nicht absolut, d. h. sie kann eingeschränkt werden. Eine Auflösung der Blockade der Aktivist:innen ist ein Eingriff des Staates (durch die Polizei), der sich jedoch grundsätzlich rechtfertigen lässt. Wichtig ist dabei, dass in jedem Einzelfall die Bedeutung der Versammlungsfreiheit angemessen berücksichtigt wird. 

Vertiefende Lesehinweise:

  • BVerfGE 69, 315 (14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81) 
  • BVerfGE 104, 92 (24.10.2001 - 1 BvR 1190/90, 1 BvR 2173/93, 1 BvR 433/96) 
  • BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 20. 12. 2012 – 1 BvR 2794/10) 
  • BVerfG Beschl. 07.12.2020, 1 BvR 2719/20 
  • Voßkuhle/Schemmel, Grundwissen – Öffentliches Recht: Die Versammlungsfreiheit JuS 2022, 1113 – 1117 
  • Hufen, Staatsrecht II, 10. Aufl. 2023, § 30 (S. 494–518)