Gleichbehandlung konkret: Schutz für Regenbogenfamilien

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In unserem letzten Blog-Beitrag haben wir Euch erklärt, wie die sexuelle Identität und sexuelle Orientierung eines Menschen durch das Grundgesetz geschützt werden. Dabei hat sich herausgestellt, dass sexuelle Identität und sexuelle Orientierung nicht zu der Liste an Merkmalen gehören, für die ein besonders strenges Diskriminierungsverbot gilt (Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz).

In diesem neuen Blog-Beitrag stellen wir Euch einen ganz aktuellen Fall vor, in dem es um homosexuelle Paare geht, die möglicherweise aufgrund ihrer Homosexualität ungleich behandelt werden. Anhand dieses Falls können wir sehen, dass die rechtlichen Fragen, die sich im Zusammenhang mit sexueller Orientierung und Gleichheitsrechten stellen, hochaktuell, aber auch sehr schwierig sind.

Als Beispiel soll hier ein Fall vorgestellt werden, den das Bundesverfassungsgericht in naher Zukunft zu entscheiden hat.  

Dieser Fall bietet sich aus einem bestimmten Grund an. Denn es stellt sich die Frage, ob es rechtmäßig sein kann, dass ein Kind, das in eine lesbische Ehe (eine Ehe zwischen zwei Frauen) von einer der Frauen hineingeboren wird, nicht „automatisch“ beide Frauen als Elternteile hat, sondern hierfür zuerst noch von der anderen Frau adoptiert werden muss.

Dazu muss man wissen, dass das mit den Elternteilen bei einer heterosexuellen Ehe ganz anders ist: Ein Kind, das in eine heterosexuelle Ehe hineingeboren wird, hat automatisch den angeheirateten Mann der Frau als rechtlichen Vater. Dieser Mann muss nicht einmal der biologische Vater sein und er muss das Kind auch nicht erst noch adoptieren. Er wird automatisch durch die Ehe mit der Mutter der rechtliche Vater, was – einfach gesagt – bedeutet, dass er für das Kind rundum verantwortlich ist.

Nun ist es aber so, dass, obwohl seit 2017 auch zwei Frauen eine Ehe schließen können, die angeheiratete Frau nicht automatisch auch die Mit-Mutter des geborenen Kindes wird. Eine sogenannte „Mehrmutterschaft“ kennt das Gesetz nicht.

Daher die Frage: Kann das rechtens sein? Wird hier nicht nach wie vor eine lesbische bzw. homosexuelle Ehe gegenüber der heterosexuellen Ehe diskriminiert? Und wird dadurch die angeheiratete Frau der Mutter nicht aufgrund ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert? Oder liegt das Problem vielleicht doch ganz woanders?

Diskriminierung des Kindes, das in eine lesbische Ehe hineingeboren wird

Wenn wir an unseren letzten Blog-Beitrag denken, wäre es naheliegend zu sagen: Natürlich darf eine lesbische Ehefrau nicht aufgrund ihrer sexuellen Orientierung gegenüber einem heterosexuellen Ehemann schlechter gestellt werden. Das müsste sich doch aus der Schutzwirkung des Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz ergeben. Tatsächlich kann das Problem aus einer ganz anderen Perspektive betrachtet werden: Denn es geht nicht nur darum, dass die angerheiratete Frau in ihrem Recht aus Artikel 3 Absatz 3 verletzt sein könnte. Vielmehr kann damit argumentiert werden, dass das geborene Kind in seinen Rechten verletzt ist, wenn es nur einen Elternteil – die gebärende Mutter – hat. Wie kommt es dazu?

Dafür bedarf es eines Ausflugs in das BGB – das Bürgerliche Gesetzbuch. In § 1592 Nr. 1 BGB steht: „Vater eines Kindes ist der Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist“. Eindeutig sind nach dieser Regelung nur Männer, die mit der gebärenden Mutter verheiratet sind, erfasst. Eine Frau, die zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter verheiratet ist, wird mit keinem Wort erwähnt. Das verwundert, gibt es doch seit 2017 die Ehe für alle und damit auf dem Papier die gleiche Behandlung homo- und heterosexueller Paare. Das Problem, weswegen der Paragraph möglicherweise verfassungswidrig ist, ist aber, dass ein Kind mit Geburt einen Anspruch auf zwei Elternteile hat, wenn zum Zeitpunkt der Geburt eine Ehe besteht. Es kann nicht sein, dass ein Kind, das in eine lesbische Ehe hineingeboren wird, anders behandelt wird als ein Kind, das in eine heterosexuelle Ehe hineingeboren wird. Das heißt, dass tatsächlich in erster Linie das Kind eine Ungleichbehandlung erfährt. Warum ist das so? Warum braucht ein Kind nach der Wertung des Gesetzes zwei Elternteile?

Ein Kind hat viele Rechte gegenüber seinen Eltern. Damit eine höhere Chance besteht, dass diese Rechte eingehalten und realisiert werden, ist es besser für ein Kind, zwei Elternteile zu haben als nur einen Elternteil. So weit, so einfach. Bei diesen Rechten handelt es sich unter anderem um das Sorgerecht, das Recht zu bestimmen, wo das Kind lebt und sich aufhält, das Recht zu bestimmen, was mit dem Geld des Kindes passiert (beispielsweise könnte ein Kind schon etwas von den Großeltern geerbt haben), das Recht, das Kind zu vertreten beispielsweise bei Vertragsabschlüssen, denn man kann eigentlich erst ab 18 selbst Verträge schließen und auch Ansprüche auf ein Erbe von den Eltern.

Vielleicht das eindrücklichste Szenario: wenn die gebärende Mutter bei der Geburt verstirbt, ist das gerade geborene Kind sofort Vollwaise. Die angeheiratete Frau, die mit der gebärenden Mutter vermutlich entschieden hat, das Kind zu bekommen, sich darauf gefreut hat und geplant hat, für dieses Kind zu sorgen, hätte keine Ansprüche, das Kind bei sich aufzunehmen. Das Kind wäre sofort in der Obhut des Staates und müsste einer Pflegefamilie zugewiesen werden. Dabei wäre eigentlich die angeheiratete Frau der verstorbenen Mutter bereit, für das Kind zu sorgen und sich darum zu kümmern. Hätte das Kind einen rechtlichen Vater durch die Geburt erhalten, so wäre es trotz Tod der Mutter unmittelbar in der Obhut des Vaters. Es liegt eine eindeutige Benachteiligung des Kindes vor.

Welches Recht des Kindes wird verletzt? In Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz steht, dass Recht und Pflicht der Eltern ist, ein Kind zu pflegen und erziehen. Daraus kann im Umkehrschluss gefolgert werden, dass das Kind einen Anspruch auf eben diese Pflege und Erziehung durch seine Eltern aus dem Grundgesetz hat. Dieses Recht wird in Kombination mit dem Gleichheitssatz aus Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz angewandt. Denn ein Kind, das in eine lesbische Ehe hineingeboren wird, wird in seinem Recht auf Pflege und Erziehung durch die Eltern schlechter behandelt als ein Kind, das in eine heterosexuelle Ehe hineingeboren wird. Denn ihm steht ja nur ein Elternteil zu und daher hat das Kind nur Rechte und Ansprüche gegen eine Mutter, obwohl diese Mutter mit einer anderen Frau verheiratet ist. Ein Kind braucht seine Eltern und steht deshalb besser da, wenn es zwei Elternteile hat statt nur einen. Dies entspricht eindeutig dem „Wohl des Kindes“. Dieses ist eine zentrale Leitidee des Elternrechts im Grundgesetz. Daher ist ein Kind aus einer lesbischen Ehe gegenüber einem Kind aus einer heterosexuellen Ehe diskriminiert.

Und was ist nun mit den Rechten der „Mit-Mutter“?

Auch die Mit-Mutter könnte in ihrem Pflege- und Erziehungsrecht aus Artikel 6 Absatz 2 Grundgesetz verletzt sein. Denn dieses sogenannte Elternrecht beruht in heutigen Zeiten moderner Familienformen vor allem darauf, dass bei den erziehungsberechtigten Personen die Bereitschaft besteht, die Pflege und Erziehung des Kindes zu übernehmen. Diesen Personen liegt das Wohl des Kindes in besonderem Maße am Herzen und sie sollen deshalb an erster Stelle die Verantwortung für das Kind tragen.

Diese Begründung gilt nicht nur für die biologischen Eltern, sondern auch für angeheiratete, homosexuelle Elternteile. Denn diesen homosexuellen Paaren, die sich dafür entscheiden, ein Kind zu bekommen und dafür einiges auf sich nehmen, ist eine ganz besonders große Bereitschaft zur Übernahme der Fürsorge für das Kind zuzusprechen. Sonst würden sie sich den Hürden auf dem Weg zum Wunschkind nicht aussetzen. Das bedeutet, sie wollen das Kind, sie wollen die Verantwortung dafür und es umsorgen. Und das will nicht nur die gebärende Mutter, sondern gerade auch ihre angeheiratete Frau. Daher kann das Elternrecht nicht nur auf die biologische Elternschaft reduziert werden, es kann auch an eine auch daran angeknüpft werden, dass ein Paar ganz besonders deutlich macht, dass es für immer die Verantwortung für ein Kind übernehmen will.

Nach aktuellem Recht ist es so, dass die angeheiratete Frau einer gebärenden Mutter das Kind adoptieren muss, um rechtliche Mit-Mutter zu werden. Diese Option ist aber nicht vergleichbar mit der automatischen Mutterschaft bei der Geburt des Kindes. Denn die angeheiratete Mutter muss ein Adoptionsverfahren durchlaufen, das sehr aufwendig ist, einige Zeit in Anspruch nimmt und insgesamt eine große Belastung darstellt. Geprüft wird dabei beispielsweise das Alter, die körperliche Leistungsfähigkeit, der Charakter, Wohn- und Arbeitsverhältnisse, berufliche und gesellschaftliche Stellung und der Erziehungswille. Teilweise bedeuten diese Prüfungen große Einschnitte in das Privatleben der angeheirateten Mutter. Darin liegt eine Schlechterstellung gegenüber dem angeheirateten Mann, der automatisch rechtlicher Vater des Kindes wird.

Man kann also annehmen, dass eine angeheiratete Frau einer gebärenden Mutter dadurch diskriminiert wird, dass sie nicht automatisch durch die Geburt rechtliche Mit-Mutter wird. Ihr wird die Wahrnehmung ihres Elternrechts verwehrt. Darin liegt eine Verletzung in Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 6 Absatz 2 Grundgesetz. Die Ehe zweier Frauen wird schlechter behandelt als die Ehe zwischen einem Mann und einer Frau. An die Rechtfertigung einer solchen Ungleichbehandlung sind hohe Anforderungen zu stellen. Ein sachlicher Grund für diese Differenzierung ist nicht zu erkennen.

Wir warten auf die Entscheidung des BVerfG – die Bundesregierung will das Abstammungsrecht reformieren

Das Verfahren ist beim BVerfG „anhängig“. Das bedeutet, dass es dem BVerfG vorliegt und auf eine Verhandlung wartet.

Dass es bisher noch zu keiner Verhandlung gekommen ist, könnte daran liegen, dass auch die Politik aktiv werden möchte. Bundesjustizminister Marco Buschmann von der FDP möchte das Abstammungsrecht, um das es bei § 1592 BGB geht, reformieren. Die Mehrmütterschaft soll anerkannt werden. Kritisiert wird an dem Reformvorhaben aber, dass es die Anerkennung der Mehrmütterschaft auf eine Zeugung durch anonyme Samenspende beschränkt. Das heißt, ein lesbisches Paar könnte sich den Samenspender für ihr Kind nicht aussuchen. Es dürfte beispielsweise kein Freund des Paares der Spender sein. Dadurch würde nicht allgemein die Diskriminierung von Kindern, die in eine lesbische Ehe hineingeboren werden, aufgehoben werden, sondern nur die Diskriminierung von Kindern, die in einem bestimmten Prozess gezeugt wurden. Dass dies nicht rechtens sein kann, sollte offensichtlich sei, denn warum wird die Diskriminierung dieser Kinder und auch der zweiten Mutter nicht insgesamt beendet?

Der Fall der Mehrmutterschaft zeigt, wie vielfältig das Diskriminierungsverbot aus Artikel 3 Grundgesetz sein kann. In dem einen Sachverhalt der Regenbogenfamilie können gleich mehrere Diskriminierungen festgestellt werden. Im Sinne der Regenbogenfamilien und vor allem der Kinder bleibt zu hoffen, dass die Politik und/oder das BVerfG diesen Zustand bald beenden. Eine Ehe zwischen zwei Frauen sollte einer Ehe zwischen Mann und Frau vollends gleichgestellt werden und kein Kind, das auf die Welt kommt, sollte einem anderen Kind gegenüber aufgrund des Geschlechts seiner Eltern schlechter gestellt sein.