Was ist eigentlich die Schuldenbremse und wieso streiten sich gerade alle über den Haushalt?

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Mit dem Urteil vom 15. November 2023 hat das Bundesverfassungsgericht das zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 für nichtig erklärt. In dem Urteil ging es vor allem um eins: die Schuldenbremse. In diesem Beitrag erklären wir, was die Schuldenbremse eigentlich ist und was sie mit den aktuellen Streitigkeiten rund um das Thema Haushalt zu tun hat. Weitere detaillierte (Fach-)Beiträge zu den einzelnen Debatten rund um die Haushalte von 2021, 2023 und 2024 findet Ihr hier.

Einnahmen und Ausgaben von Staaten

Die wichtigste Einnahmequelle für Staaten sind Abgaben, also Steuern, Beiträge und Gebühren. Wenn Euch die Unterscheidung im Einzelnen besonders interessiert, findet Ihr hier eine kurze Übersicht. Wenn Ihr mehr zum Steuersystem in Deutschland lesen wollt, findet Ihr hier eine Übersicht.

Deutschland nimmt natürlich nicht nur Geld ein, sondern gibt auch sehr viel aus. Straßen und Schienen müssen gebaut und gewartet werden; Polizei und Schulen brauchen Fachkräfte und Ausstattung. Die Liste der Ausgaben ist lang. Um das alles zu bezahlen, reichen die aktuellen Steuereinnahmen nicht aus. Deswegen muss der Staat auch Kredite aufnehmen, z.B. von Banken, aber auch von Bürger:innen. Solche Kredite nennt man Staatsanleihen.

Was ist die sog. Schuldenbremse?

Die sog. Schuldenbremse ist im Grundgesetz geregelt. Sie findet sich in Art. 109 Abs. 3 GG (und in Art. 115 Abs. 2 GG). Hier steht:

„Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Bund und Länder können […] eine Ausnahmeregelung für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, vorsehen. […] Die nähere Ausgestaltung regelt für den Haushalt des Bundes Artikel 115 mit der Maßgabe, dass Satz 1 entsprochen ist, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. […]“

Unsere Verfassung legt also fest, dass Deutschland (der Bund und die Länder) keine neuen Schulden aufnehmen darf. Durch die Begrenzung der Neuverschuldung soll jede Regierung einen soliden Haushalt führen. Vordergründig ist diese Vorgabe auch leicht nachvollziehbar: Schulden führen zu Zinsen und damit zu Kosten in der Zukunft. Deswegen sollte man Schulden – wenn möglich – vermeiden. Immer wieder wird in diesem Zusammenhang auch die Generationengerechtigkeit mit dem Slogan „Unsere Kinder sollen nicht unsere Ausgaben bezahlen“ betont.

Auf den zweiten Blick kann man die Schuldenbremse aber auch kritisieren. Denn um zu beurteilen, ob Schulden „gut“ oder „schlecht“ sind, kommt es darauf an, wofür man sein Geld ausgibt. So können mit Schulden finanzierte Investitionen in Bildung (beispielsweise Ausstattung von Schulen und Universitäten) oder Infrastruktur (beispielsweise Straßen und Schienen) die Nachteile der steigenden Zinslast ausgleichen. Einige Beiträge zum Pro und Contra findet Ihr hier.

Für Deutschland (den Bund) hält das Grundgesetz drei Ausnahmen von der Schuldenbremse bereit. Zwei davon möchten wir hier kurz vorstellen:

Ganz wichtig ist die strukturelle Ausnahme: Deutschland darf jedes Jahr Kredite im Wert von 0,35 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) des Vorjahres aufnehmen. Im Jahr 2022 lag das deutsche BIP bei rund 3,88 Billionen Euro. Deutschland konnte deshalb im Jahr 2023 etwas weniger als 13 Milliarden Euro an Schulden aufnehmen, ohne gegen die Schuldenbremse zu verstoßen.

Exkurs BIP: Das BIP ist der Wert aller Güter (beispielsweise Autos, Computer und Zahnpasta) und Dienstleistungen (beispielsweise Friseur- oder Restaurantbesuch), die in einem Jahr innerhalb von Deutschland erwirtschaftet werden. Diese Kennzahl dient dazu abzuschätzen, wie leistungsfähig Deutschland und seine Wirtschaft ist.

Eine zweite wichtige Ausnahme gilt in außergewöhnlichen Notsituationen. Eine Variante dieser außergewöhnlichen Notsituation nennt das Grundgesetz selbst: Naturkatastrophen. Das sind Naturereignisse wie Erdbeben oder Überschwemmungen. Notsituationen sind allgemein davon geprägt, dass der Staat keinen unmittelbaren Einfluss auf ihren Eintritt hat, sie aber finanzielle Auswirkungen auf unseren Haushalt haben. Traurige Beispiele sind der Krieg gegen die Ukraine oder der wieder erstarkte Israel-Palästina-Konflikt.

Noch nicht entschieden ist die Frage, ob auch der fortschreitende Klimawandel eine außergewöhnliche Notsituation darstellt. Hierfür könnte die rapide Verschärfung der Situation und der fehlende unmittelbare Einfluss des Staates auf das globale Phänomen sprechen. Dagegen spricht sicherlich, dass der Klimawandel nicht kurzfristig und plötzlich auftritt, sondern schon lange und dauerhaft voranschreitet. Die Schuldenbremse könnte deshalb unter Verweis auf den andauernden Klimawandel jedes Jahr entkräftet werden. Sicher ist aber, dass konkrete Folgen des Klimawandels wie beispielsweise die Überschwemmungen im Ahrtal Naturkatastrophen im Sinne der Ausnahmevorschrift sind.

Worüber musste das Bundesverfassungsgericht entscheiden?

Die Urteilsbegründung selbst ist eher technisch und soll gar nicht im Fokus dieses Beitrags stehen. Wichtig zu wissen ist, dass der Deutsche Bundestag jedes Jahr mit einem Gesetz den Jahreshaushalt für das kommende Jahr beschließt. Manchmal ist es notwendig, den Haushalt im laufenden Jahr noch einmal anzupassen. Dann kann der Bundestag ein neues Gesetz mit den nötigen Änderungen erlassen (sog. Nachtragshaushaltsgesetz).

Vereinfacht gesprochen wird im Haushaltsgesetz festlegt wie viel Geld Deutschland in diesem Jahr ausgeben darf und wie viel es einnehmen soll. Es wird auch festgelegt wie viele Schulden Deutschland maximal aufnehmen darf (sog. Kreditermächtigung). Die Kredite werden dann vom Bundesfinanzministerium nur bei Bedarf aufgenommen.

Im April 2021 wurde ein solches Nachtragshaushaltsgesetz erlassen, um Deutschland mit mehr Geld zu versorgen. Hierdurch wurde eine Ausnahme von der Schuldenbremse gemacht, die mit dem Vorliegen einer Notsituation, nämlich der Covid-19 Pandemie, begründet wurde (Außergewöhnliche Notsituation). Für die Regierung sollte es mit diesem Nachtragshaushalt möglich sein, nochmal 60 Mrd. Euro mehr Schulden zu machen als ohnehin geplant.

Das Jahr lief aber doch besser als gedacht – das Geld wurde nicht benötigt. Politisch sollte die einmal erteilte Erlaubnis, die Schulden aufnehmen zu können, aber nicht ungenutzt bleiben. Deshalb sollte diese Erlaubnis an den Klima- und Transformationsfonds (KTF) weitergereicht werden. Der KTF ist, vereinfacht gesagt, ein zusätzliches Ausgabenkonto des Staates. Von diesem Konto sollten dann in Zukunft, also über das Haushaltsjahr 2021 hinaus, Kredite aufgenommen und für verschiedene Programme der Regierung ausgegeben werden.

Genau das wurde in einem zweiten Nachtragshaushaltsgesetz geregelt und ist jetzt vom Bundesverfassungsgericht aus verschiedenen, gleichrangigen Gründen für nichtig erklärt worden. Denn es verstößt gleich mehrfach gegen die Schuldenbremse.

Das Gericht bemängelte vor allem, dass nicht ausreichend begründet worden sei, warum die Schuldenaufnahme zur Bewältigung der Notsituation beitragen kann. Es fehlte dem Gericht also an einem Zusammenhang zwischen der Notsituation und dem Anlass, Schulden aufzunehmen (sog. Veranlassungszusammenhang). Ursprünglich waren die neuen Schulden ja zur Bewältigung der Covid-19-Pandemie vorgesehen. Der KTF sollte nun aber ganz andere Probleme mit dem gleichen Geld lösen. Das sah das Gericht als verfassungswidrig an.

Die weiteren Gründe für die Nichtigkeit sind Verstöße gegen Prinzipien mit unverständlichen Namen wie “Jährlichkeit” und “Jährigkeit” sowie das Gebot der “Vorherigkeit”. Diese wirklich technischen, buchhalterischen Vorschriften sind für das weitere Verständnis nicht notwendig, sondern nur der Vollständigkeit halber hier aufgeführt.

Schuldenbremse streichen – was dann?

Auch wenn wir die Schuldenbremse aus dem Grundgesetz streichen würden, gelten für Deutschland seitens der Europäischen Union verbindliche Regeln dafür, in welchem Maße wir Schulden aufnehmen können. Beispielsweise ist Deutschland seit der Finanzkrise Teil des sog. Fiskalpakts. Mehr Informationen dazu findet Ihr hier. Deutschland kann also gar nicht mehr gänzlich autonom entscheiden wie viele Schulden es aufnehmen möchte – auch abseits von der Schuldenbremse.

Wie geht es jetzt weiter?

Deutschland kann auch in Zukunft Schulden aufnehmen. Jedenfalls im Rahmen der strukturellen Ausnahme von der Schuldenbremse wird der Staat das auch sicherlich tun. Ob darüber hinaus Kredite aufgenommen werden, hängt maßgeblich davon ab, ob eine außergewöhnliche Notsituation vorliegt und viel wichtiger, ob die Politik in Anbetracht einer solchen schnell Geld zur Verfügung haben möchte. Wird keine außergewöhnliche Notsituation festgestellt, bleiben der Politik nur zwei Optionen: zu sparen oder die Steuern zu erhöhen, um mehr Geld in der Staatskasse zu haben.