Deine Vertretung in Berlin – wer sind eigentlich Abgeordnete und was machen sie?

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In Kürze geht es wieder los – überall in Deiner Stadt werden Plakate von Menschen aufgehängt, deren Namen Du am 26. September auf deinem Wahlzettel wiederfindest. Dort werben Menschen für sich, die von Dir entsendet als Abgeordnete:r in den Bundestag in Berlin einziehen wollen.

Und Du fragst Dich vielleicht: Wer ist das eigentlich? Was machen sie nach ihrer Wahl in Berlin? Kann ich das auch machen? Dieser Artikel soll Dir einen Überblick über die Tätigkeit der gewählten Volksverter:innen in unserem Parlament verschaffen und zeigen, wie man das wird.

Aber erstmal von vorne: Die Abgeordneten, die wir bei einer Bundestagswahl wählen, sind die Vertreter:innen des ganzen Volkes. Das legt Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 unseres Grundgesetzes fest. Sie sitzen also für Dich im Bundestag in Berlin und wirken dort an der Politik mit. Die meisten der Abgeordneten, die sich zur Wahl stellen, gehören einer Partei an. Wenn sie in den Bundestag gewählt werden, schließen sie sich anhand dieser Parteizugehörigkeit zu sogenannten Fraktionen zusammen. Als solche Fraktion zusammenzuarbeiten, bringt Vorteile in der Arbeitsaufteilung, verlangt aber jedem Abgeordneten auch eine Fraktionsnähe ab. Denn um als Gruppe zusammenzuarbeiten, bedarf es eines Grundkonsens.

Die Arbeit an der Gesetzgebung

Die Hauptarbeit der Abgeordneten besteht darin, im Bundestag und zusammen mit dem Bundesrat Gesetze zu erlassen. Der Gesetzgebungsprozess im Bundestag beginnt dabei insbesondere in Fachausschüssen, die sich aus den Abgeordneten zusammensetzen. Es gibt ganz viele unterschiedliche, thematisch aufgeteilte Ausschüsse, die die fachliche Vorarbeit leisten und in denen die jeweiligen Fachexpert:innen unter den Abgeordneten sitzen. Dort wird also über einem Gesetzesentwurf gebrütet, jede Formulierung durchdacht und nach der bestmöglichen, mehrheitsfähigen Lösung gesucht. Hier sind immer verschiedene Vertreter:innen der Fraktionen vertreten, so dass die Ausschüsse die politischen Meinungen bereits abbilden und zu einem politischen Kompromiss finden können.

Der so erarbeitete Gesetzesentwurf kommt dann in das große Plenum des Bundestags. Hier wird final über die Gesetzesentwürfe abgestimmt. Diese Vorgehensweise ist dahingehend sinnvoll, dass der Bundestag als Gesamtplenum nicht jeden Gesetzesentwurf vorbereiten und diskutieren kann. Vielmehr ist es notwendig, dass die fachliche Vorarbeit bis zu einem Punkt schon in den Ausschüssen geleistet wurde. Trotzdem haben alle Abgeordneten im Gesamtplenum die Möglichkeit, zu dem eingebrachten Gesetzesentwurf Stellung zu nehmen und Änderungen einzubringen. Meistens leisten die Ausschüsse aber bereits so viel Arbeit, dass keine große Diskussion im Plenum mehr stattfindet. Deshalb sind die Reihen dort auch manchmal leer. Wenn Du also im Fernsehen einen wenig gefüllten Bundestag siehst, heißt das nicht, dass sich die Abgeordneten einen faulen Lenz machen, sondern dass die Hauptarbeit zu diesem Zeitpunkt schon geschehen ist.

Die Abstimmung über das Gesetz findet in jedem Fall im Bundestag statt. Damit ein Gesetz angenommen wird, benötigt es die Mehrheit der im Bundestag abgegebenen Stimmen, das legt Artikel 42 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes fest. Bei diesen Abstimmungen sind die Abgeordneten nur ihrem Gewissen unterworfen, wie das Grundgesetz in Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 bestimmt. Abgeordnete können nicht dazu gezwungen werden, auf die ein oder andere Art abzustimmen. Wie ist das aber nun, wenn man sich einer Fraktion angeschlossen hat? Auch dabei gibt es keinen sogenannten Fraktionszwang, die Abgeordneten müssen also nicht wie ihre Fraktionskolleg:innen abstimmen. Trotzdem gibt es eine Fraktionsdisziplin. Bis zu einem gewissen Maß wird also durchaus davon ausgegangen, dass innerhalb der Fraktionen eine Einigkeit auch bei den Abstimmungen besteht. Nur so ist ein effektives Zusammenarbeiten und Durchsetzen der Themen als Gruppe möglich. Auch da gibt es aber Grenzen. Immer wieder werden Gesetze im Bundestag diskutiert und verabschiedet, die gesellschaftlich vieldiskutierte und sensible Themen betreffen, bei denen eine absolut unbeeinflusste Entscheidung gewährleistet werden soll. In einem solchen Fall wird die Entscheidung zur „Gewissensfrage“ ausgerufen. Zuletzt war das beispielsweise der Fall bei der Entscheidung des Bundestags über ein Gesetz zur Organspende. Dabei konkurrierten zwei Gesetzesentwürfe, bei denen im Wesentlichen darüber gestritten wurde, ob einer Organspende in jedem Fall im Vorhinein zugestimmt werden muss oder ob man grundsätzlich als Organspender:in geführt wird und dem ausdrücklich widersprechen muss. Das war in der Gesellschaft als auch innerhalb der Fraktionen so umstritten, dass die Entscheidung zu einer solchen Gewissensfrage ausgerufen wurde. Jede:r durfte also wählen, wie er oder sie es für richtig hielt. Im Ergebnis votierten 379 Abgeordnete gegen die Widerspruchslösung, 292 dafür und 3 enthielten sich.

Klingt nach einem sehr spannenden Job, oder? Deshalb wollen auch viele in den Bundestag und dort für ihre und die Interessen des Volkes einstehen. Und wer das dann wirklich darf, bestimmst Du durch deine Stimme.

Zwei Kreuzchen auf dem Wahlzettel

Aber warte mal – auf deinem Wahlzettel sind ja zwei Kreuzchen abzugeben? Das ist ein Ergebnis unseres Wahlsystems in Deutschland, der personalisierten Verhältniswahl. Mit deiner Erststimme wählst Du eine Person, die sich in deinem Wahlkreis (das ist die Region, in der Du wohnst) als Abgeordnete:r aufstellen lässt und mit deiner Zweitstimme die Liste einer Partei. Auf dieser Liste sind wiederum alle Personen drauf, die gerne Abgeordnete:r für diese Partei in Deinem Bundesland werden wollen.

Personalisierte Verhältniswahl? Klingt kompliziert und ist es ehrlich gesagt auch. Das Ganze ist das Ergebnis unserer Wahlgrundsätze. Einer davon ist, dass alle Stimmen gleich viel zählen sollen, so dass jede:r das gleiche Mitspracherecht bei der Bundestagswahl hat. Grundsätzlich könnte man ja denken, ist doch ganz einfach: Jede:r wählt für eine Person und hat so die gleiche Möglichkeit, mitzubestimmen. Das ist auch nicht ganz abwegig und wird in anderen Ländern so gehandhabt, beispielsweise in Großbritannien. Es führt aber auch dazu, dass alle Stimmen, die für den/die Kanditat:in in deinem Wahlkreis abgegeben wurden, der/die nicht gewonnen hat, gar keinen Einfluss auf das Endergebnis haben. Das wollte man bei uns vermeiden. Deshalb haben wir die Zweitstimme, mit der die Mehrheitsverhältnisse im Parlament festgelegt werden. So bekommt nicht eine Partei den ganzen Kuchen, sondern jede das Kuchenstück, das den Zweitstimmen entspricht. Wiederum kann man sich jetzt fragen: na gut, und wieso dann überhaupt die Erststimme? Damit soll sichergestellt werden, dass auch jede Region im Bundestag vertreten ist und ein:e Kandidat:in, das besondere Vertrauen in seinem/ihrem Wahlkreis genießt, diesen auch vertreten darf. Würden wir allein nach den Parteilisten wählen, könnte es passieren, dass eine Region im Bundestag nicht vertreten ist. Dort werden aber auch Gesetze und Themen beschlossen und diskutiert, die Auswirkungen auf eine ganz bestimmte Region haben können. Diese sollte dann auch unbedingt ein Mitspracherecht haben.

Zusätzlich kompliziert wird es dadurch, dass durch die Direktwahl mit der Erststimme (der/die Gewinner:in hiervon hat das sogenannte Direktmandat) mehr Abgeordnete in den Bundestag einziehen, als es dem Kuchenstück der Partei, dem der/die Gewinner:in des Direktmandats, entspricht. Dann kann es zu sogenannten Ausgleichs- und Überhangsmandaten kommen. Wenn Dich diese Thematik näher interessiert, schau gerne mal hier nach.

Ein Hauptproblem bei diesen Ausgleichs- und Überhangmandaten ist, dass es den Bundestag immer größer werden lässt. Deshalb kam es in der derzeitigen Legislaturperiode zu einer kleinen Reform, die bereits für die anstehende Wahl zu Veränderungen führt: einerseits werden die Ausgleichs- und Überhangmandate nun neu berechnet, außerdem werden die Wahlkreise vergrößert. Ein:e Abgeordnete:r soll dann mehr Menschen im Bundestag vertreten. Auch das wird teilweise kritisch gesehen, denn bereits jetzt vertreten Abgeordnete Wahlkreise mit einer Vielzahl an Menschen und der Kontakt zu den Wähler:innen gestaltet sich umso schwieriger, umso mehr es sind. Eine Zusammenlegung von Wahlkreisen könnte außerdem zu einer deutlich abgeschwächten Vertretung der angesprochenen unterschiedlichen regionalen Interessen führen.

Diversität im Parlament?

Ein weiterer Punkt, bei dem immer wieder eine Verbesserung gefordert wird, ist, dass der Bundestag derzeit nicht unbedingt ein Abbild der Gesellschaft ist. Beispielsweise sind in dieser Legislaturperiode nur 30,9% der Abgeordneten weiblich, nur 0,4% nach eigenen Angaben muslimischen Glaubens, die größte Berufsgruppe stellen die Jurist:innen und das Durchschnittsalter der Abgeordneten liegt bei 49,4 Jahren (Ganz viele Infos zur Zusammensetzung des Bundestags findest Du im Datenhandbuch des Bundestags). Da das nicht so aussieht, wie die gesamte Gesellschaft, wird einerseits immer wieder moniert, dass der Bundestag keine ausgeglichene Repräsentation des Volkes sei und dadurch bestimmte Themen weniger Beachtung fänden. Denn Abgeordnete bestimmter Gruppen würden nicht zwingend die Probleme anderer Gruppen kennen und diese bei ihrer Arbeit stets berücksichtigen. Andererseits wird auch immer wieder betont und darauf hingewiesen, dass der Bundestag das Volk auch nicht eins zu eins widerspiegeln muss, sondern das entscheidende sei, dass alle durch ihre Stimme an der Wahl teilhaben können und die Zugehörigkeit zu einer Gruppe nicht die Voraussetzung darstelle, dass man für diese Gruppe Politik mache.

Gerade die Unterrepräsentation von Frauen im Parlament ist häufig Gegenstand von politischen und juristischen Diskussionen. Es gab schon mehrere Versuche, die Parteien durch gesetzliche Regelungen dazu anzuhalten, ihre Listen paritätisch aufzustellen, also ausgewogen aufgeteilt auf Frauen und Männer. Gesetzliche Regelungen hierzu sind bisher gescheitert, einige Parteien haben sich aber bereits selbst verpflichtet, mit paritätischen Listen anzutreten, um für eine ausgeglichenere Repräsentation zu sorgen. Diese Listen stellen dann meist abwechselnd eine Frau und einen Mann auf.

Grundsätzlich kann sich aber fast jede:r aufstellen lassen, um Abgeordnete:r zu werden, also vielleicht auch Du? Um als Abgeordnete:r wählbar zu sein, muss man volljährig sein (Artikel 38 Absatz 2 GG) und die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Und das wars auch schon – es ist also ganz egal, was Du beruflich machst oder was du vertrittst. Du musst nicht einmal in einer Partei sein, auch als parteilose:r Kandidat:in kann man sich für ein Direktmandat bewerben. Nur um deutsche Staatsangehörigkeit und Volljährigkeit kommt man nicht drum rum – aber warte mal ab, vielleicht fällt das mit dem Wählen und Gewählt werden ab 18 auch noch? Dazu später mehr…