Die Geschichte des Wählens

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Bei der Bundestagswahl am 26. September darf jeder deutsche Staatsbürger, der mindestens 18 Jahre alt ist, zwei Mal sein Kreuzchen setzen. Dabei ist es ganz egal, welcher Religion diese Person angehört, welches Geschlecht sie hat oder wieviel Geld sie verdient. Das war aber nicht immer so.

Auch das Wahlrecht hat in Deutschland seine ganz eigene Geschichte. So dauerte es beispielsweise bis zum Jahre 1918, bis auch Frauen endlich wählen durften. Wie sich das Wahlrecht in Deutschland historisch entwickelt hat, ist Thema dieses Blogbeitrags.  

Von Frankfurter Nationalversammlung bis zum Deutschen Kaiserreich

Unser Wahlrecht in Deutschland wurde stark durch Entwicklungen in Frankreich geprägt. Mitte des 19. Jahrhunderts dankte der französische König nach Aufständen ab, die Französische Republik wurde gegründet und ein allgemeines Wahlrecht eingeführt. Zu dieser Zeit bestand Deutschland aus dem Zusammenschluss von einzelnen souveränen Staaten, dem sog. „Deutschen Bund“. Daraufhin demonstrierten viele Menschen in den deutschen Staaten für die Wahl einer Nationalversammlung. Kurz erklärt ist eine Nationalversammlung die Vertretung alle Bürger, die gewählt werden, um wichtige Entscheidungen zu treffen und z.B. eine Verfassung zu erarbeiten.

Hierzu kam es schließlich auch: Die „Frankfurter Nationalversammlung“ von 1848 war das erste demokratisch gewählte Parlament Deutschlands. Dieses Parlament beschloss, dass Wahlen nach dem Prinzip der Mehrheitswahl in gleicher, geheimer und direkter Abstimmung stattfanden. Bei einer Mehrheitswahl kann in jedem Wahlkreis nur derjenige Kandidat ins Parlament einziehen, der die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigt. Ausgeschlossen von der Wahl waren alle Frauen, Männer unter 25 Jahren und z.B. Personen, die „bescholten“, also vereinfacht gesagt vorbestraft waren. Ein Jahr nach ihrem Zusammentritt scheiterte die Frankfurter Nationalversammlung.

In Preußen, einem Gliedstaat des Deutschen Bundes, galt ab dem 30. Mai 1849 das sog. „Dreiklassenwahlrecht“. Die Einteilung der Klassen richtete sich nach dem Steueraufkommen, letztlich also danach, wie wohlhabend eine Person war. Der ersten Klasse gehörten insbesondere Adelige und Großgrundbesitzer an, der zweiten Klasse Kaufleute. Der dritten Klasse, die ca. 83 Prozent der Wähler ausmachte, gehörten alle übrigen Bürger an.

Nach dem Deutschen Krieg im Jahr 1866 gründete Preußen mit seinen norddeutschen Verbündeten den ersten deutschen Nationalstaat, den sog. „Norddeutschen Bund“. Die Wahl des Reichstags richtete sich zwar nach dem Vorbild der Frankfurter Nationalversammlung, in vielen deutschen Gliedstaaten blieb aber ein ungleiches Wahlrecht in Kraft. So galt in Preußen weiter das Dreiklassenwahlrecht oder im Königreich Sachsen das Pluralwahlrecht, wonach manche Wähler gleich mehrere Stimmen hatten. Das zu dieser Zeit geltende norddeutsche Wahlgesetz galt auch im Deutschen Kaiserreich von 1871-1918.

Weimarer Republik und Nationalsozialismus

Das Ende des Ersten Weltkriegs im Jahr 1918 war die Geburtsstunde der Weimarer Republik. Es wurde beschlossen, erneut eine Nationalversammlung wählen zu lassen. Für die Wahl wurde das Wahlalter auf 20 Jahre gesenkt und auch Frauen waren erstmals wahlberechtigt. Im Januar 1919 wurde die Nationalversammlung in allgemeiner, gleicher, geheimer und direkter Wahl gewählt. Zum ersten Mal ersetzte ein Verhältniswahlsystem das bis dahin gültige Mehrheitswahlrecht. Im Gegensatz zum Mehrheitswahlrecht standen hierbei nun Parteilisten zur Wahl, wodurch die prozentuale Stimmenverteilung der Wähler im Parlament genauer widergespiegelt werden sollte.

Nachdem Adolf Hitler im Jahr 1933 zum Reichskanzler ernannt worden war, wurde der Reichstag aufgelöst und neu gewählt. Durch die Verabschiedung des sogenannten Ermächtigungsgesetzes entmachtete sich dieser selbst: Hitler war es nun möglich, Gesetze zu erlassen, ohne Reichstag und Reichsrat beteiligen zu müssen. Durch das Verbot aller übrigen Parteien saßen ab Juli 1933 im Reichtstag nur noch Nationalsozialisten. Das Wahlrecht wurde zur Wahlpflicht und diente nicht mehr der Wahl von Parteien oder Politikern, sondern als Machtdemonstration der Nationalsozialisten. Frauen durften sich nicht mehr zur Wahl aufstellen und durch die Nürnberger Gesetze wurde Menschen jüdischer Abstammung ihr Wahlrecht aberkannt.

Das Grundgesetz und die DDR

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges beschloss der sog. „Parlamentarische Rat“ am 8. Mai 1949 das Grundgesetz, welches am 23. Mai verkündet wurde. Dies war die Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland. Im Grundgesetz wurde die allgemeine, freie, gleiche, geheime und unmittelbare Wahl verankert. Wählen durfte man ab dem 21. Lebensjahr, gewählt werden ab 25 Jahren. Die erste Bundestagswahl wurde nach dem System der personalisierten Verhältniswahl durchgeführt, eine Mischung aus Listen- und Personenwahl. Im Gegensatz zu heute hatte jeder Wähler nur eine Stimme. Direktkandidaten- und Listenstimmen konnten also nicht getrennt voneinander abgegeben werden. In den folgenden Jahren erfuhr das Wahlrecht in der Bundesrepublik Deutschland noch einige Änderungen: Bei der zweiten Bundestagwahl wurden die Erst- und Zweitstimme und die 5-Prozent-Hürde eingeführt. Später wurde auch das Wahlalter von 21 auf 18 Jahre abgesenkt.

In der DDR wurde als Parlament die sog. Volkskammer gewählt. Die Volkskammerwahlen erfolgten auf Grundlage von Einheitslisten der sog. „Nationalen Front“, einem Zusammenschluss der Parteien und Massenorganisationen in der DDR. Dieser Zusammenschluss hatte offiziell das Ziel, allen gesellschaftlichen Gruppen Einfluss auf die Politik in der DDR zu verschaffen. Tatsächlich kontrollierte die SED, die Staatspartei in der DDR, aber die anderen Parteien und Massenorganisationen mit der Nationalen Front und festigte so ihre politische Machtstellung. Auf den von der Nationalen Front aufgestellten Einheitslisten war die Mehrheit für die SED stets gesichert. Die Wahl des Bürgers beschränkte sich darauf, die Kandidatenliste zu bestätigen oder gegen sie zu stimmen. Eine individuelle Kandidatenwahl fand nicht statt, da eine Veränderung der Liste nicht vorgesehen war. Gegen die Liste stimmte kaum jemand, da die Zettel offen in die Urnen eingeworfen werden sollten. Meist wurden die realen Wahlergebnisse gefälscht, damit die Einheitsliste mit 99 Prozent der Ja-Stimmen bestätigt wurde.

Das Wahlrecht der Zukunft?

Heute gibt es immer wieder Diskussionen über Reformen des Wahlrechts. So gibt es z.B. Stimmen, die fordern, dass Wählen schon mit 16 Jahren erlaubt sein soll. In manchen Bundesländern dürfen 16-Jährige bei Landtagswahlen schon wählen. Für das Wählen mit 16 wird häufig angeführt, dass es auch jungen Menschen möglich sein sollte, ihre Zukunft aktiv durch Wahlen mitzugestalten. Heute verschaffen sich junge Menschen mit Bewegungen wie z.B. „Fridays for Future“ politisches Gehör. Andere Personen sprechen 16-Jährigen die nötige Reife für das Wählen ab.  

Diskutiert wird auch eine von der Großen Koalition im Oktober 2020 verabschiedete Reform, den auf 709 Abgeordnete angewachsenen Bundestag wieder zu verkleinern. Die vorgesehene Anzahl der Mitglieder liegt bei 598. Der Grund für die höhere Zahl sind sog. „Überhangmandate“: Überhangmandate werden vergeben, wenn eine Partei mehr Sitze im Parlament durch Erststimmen erringt, als ihr gemäß dem Zweitstimmenergebnis zustehen würden. Damit sitzen mehr Abgeordnete einer Partei im Bundestag als prozentual vorgesehen. Das wird dann durch mehr Sitze für andere Parteien ausgeglichen und der Bundestag vergrößert sich. Fast alle Parteien sind sich einig, dass ein zu großer Bundestag zum einen dessen Arbeitsfähigkeit einschränken kann und mehr Geld kostet. Es wird aber gestritten, wie eine Reform umgesetzt werden soll. Gegen eine von der Großen Koalition verabschiedete Reform sind die FDP, Grüne und Linke vor dem Bundesverfassungsgericht vorgegangen. Neben dem eigentlichen Antrag haben sie auch einen sog. Eilantrag gestellt, um eine vorübergehende Entscheidung noch vor der Wahl zu erhalten. Diesen Antrag lehnte das Gericht ab, sodass die Reform vorläufig auch für die kommende Wahl gilt. Die endgültige Entscheidung bleibt noch abzuwarten.