Wählen mit Abstand: Wie funktioniert die Briefwahl?

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In den letzten Tagen vor einer Wahl wird besonders intensiv um Stimmen gerungen. Alle Aufmerksamkeit richtet sich auf den „Gang zur Urne“ am Wahlsonntag – so in etwa lässt sich die Spannungskurve beschreiben, an der sich das politische Geschehen genauso orientiert wie unser Grundgesetz. Tatsächlich geben immer mehr Menschen ihre Stimme bereits vor dem Wahltag per Brief ab: Bei Bundestagswahlen hat sich der Briefwahlanteil zwischen 1990 und 2017 von 9,4% auf 28,6% erhöht und damit verdreifacht. In diesem Artikel geht es aus unserer Perspektive als Wähler:innen um die Frage, wie eine Briefwahl ganz praktisch abläuft und welche Vorgaben das Grundgesetz zum „Wählen mit Abstand“ macht. Warum anstelle des Kreuzes auf dem Wahlzettel kein Klick in einem Online-Formular stehen kann, wird am Ende des Beitrags erklärt.

Eine kleine Anleitung zur Briefwahl

Spätestens drei Wochen vor der Wahl erhalten alle Wahlberechtigten per Post den Antrag auf einen Wahlschein. Um an der Briefwahl teilzunehmen, muss dieser Antrag ausgefüllt und in dem mitgeschickten Umschlag zurückgesendet werden. Möglich ist aber auch, den Wahlschein bereits bis zu sieben Wochen vor der Wahl eigenständig zu beantragen, beispielsweise bei längeren Aufenthalten im Ausland. Sollte der Antrag nicht angekommen oder verloren sein, kann ein Wahlschein per Post oder Mail neu beantragt werden; viele Gemeinden bieten hierfür mittlerweile auch Online-Formulare an. Briefwahlunterlagen können außerdem selbst oder durch eine bevollmächtigte Person direkt bei der Gemeinde abgeholt werden. Der Antrag auf Briefwahl kann spätestens bis 18 Uhr am Freitag vor der Wahl, in Ausnahmefällen (z.B. Krankheit) bis 15 Uhr am Wahltag gestellt werden. Die ausgefüllten Unterlagen müssen bis 18 Uhr am Wahltag bei der Gemeinde eingehen, um berücksichtigt zu werden. Um sicherzugehen, dass alle Berechtigten nur einen und nicht mehrere Wahlscheine erhalten, werden die ausgestellten Scheine in ein Wählerverzeichnis eingetragen.

Die Briefwahlunterlagen bestehen aus einem roten Umschlag mit dem Wahlschein und einem blauen Umschlag mit dem Stimmzettel. Der Stimmzettel mit je einem Kreuz für Erst- und Zweitstimme wird in den blauen Umschlag gelegt und verschlossen, anschließend wird der blaue Umschlag in den roten Umschlag mit dem ausgefüllten Wahlschein gelegt. Nachdem am Wahltag die Wahllokale schließen, beginnt die Arbeit des Briefwahlausschusses, der nur für diese Form der Wahl eingesetzt ist. Der Ausschuss prüft die eingesendeten Wahlscheine auf ihre Richtigkeit und trennt sie von den verschlossenen blauen Umschlägen mit den Stimmzetteln, die anschließend separat ausgewertet werden. Durch diese getrennte Auswertung wird sichergestellt, dass niemand die Stimmzettel in den anonymisierten, blauen Umschlägen persönlich zuordnen kann. Bei der Arbeit des Briefwahlausschusses – wie übrigens auch bei der Auszählung der Stimmen am Wahltag – können alle Interessierten zuschauen und so den Wahlvorgang kontrollieren.

Sind Briefwahlen geheime Wahlen?

Bundestagswahlen müssen sechs Kriterien erfüllen, die Wahlrechtsgrundsätze. Fünf davon finden sich im Verfassungstext selbst: Wahlen sind danach allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG, siehe hierzu auch unsere FAQ zu Wahlen). Um den „versteckten“ sechsten Grundsatz soll es am Schluss dieses Artikels gehen.

Briefwahlen betreffen den Grundsatz der Geheimheit der Wahl. Geheime Wahlen schützen freie Wahlen: weder der Staat noch andere Private sollen einsehen können, wie die einzelne Person sich entschieden hat. Auf dieses Recht können wir als Wähler:innen auch nicht verzichten, darum ist zum Beispiel das Veröffentlichen eines ausgefüllten Stimmzettels verboten. Geheime Wahlen werden – als Regelfall – durch den eingangs erwähnten „Gang zur Urne“ sichergestellt, bei dem jede Person einen Stimmzettel bekommt, in eine abgeschirmte Wahlkabine geht und anschließend den verschlossenen Umschlag in eine spezielle verschlossene Box, die sogenannte Wahlurne, einwirft.

Zur Urnenwahl muss es eine Alternative geben, denn nicht jede:r hat am Wahltag die Möglichkeit in das Wahllokal zu gehen. Menschen aufgrund körperlicher Einschränkungen oder beruflicher Verpflichtungen von der Wahl auszuschließen, wäre mit unserer Verfassung – genauer gesagt: mit dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl – nicht zu vereinbaren. Auch bei Briefwahlen muss natürlich garantiert werden, dass die einzelne Wahlentscheidung nicht nachvollzogen werden kann. Das geschieht, wie wir in der kleinen Anleitung zur Briefwahl gesehen haben, durch die Art der Durchführung: Der Ausstellung und Prüfung der Wahlscheine, der getrennten Auswertung der anonymisierten Umschläge mit den Stimmzetteln usw. Auf diese Weise können Stimmzettel und Wähler:in einander genauso wenig wie bei der Urnenwahl zugeordnet werden und sind damit nicht ebenso geheime Wahlen.

„Wählen mit Abstand“ nur offline

Warum kann ich online ein Bankkonto eröffnen oder ein Auto kaufen, aber nicht von zu Hause aus über das Internet wählen? In einer digitalisierten Lebens- und Arbeitswelt liegt die Idee nahe, auch bei Wahlen die Möglichkeiten der Digitalisierung zu nutzen. Dagegen spricht ein ungeschriebener, also im Text des Grundgesetzes so nicht erwähnter Grundsatz, die Öffentlichkeit der Wahl. Es muss den Bürger:innen möglich sein, jeden Schritt der Wahl nachzuvollziehen. Bei der öffentlichen Auszählung von Papierzetteln ist das einfach, Computer verarbeiten Informationen dagegen als eine Art „black box“, deren technische Vorgänge Menschen von außen nicht wahrnehmen können. Nach jetzigem Stand der Technik könnte zum Beispiel nicht sicher ausgeschlossen werden, dass die daheim genutzte Software manipuliert ist und da ein Wahlzettel in Papierform dabei fehlen würde, könnte man die Wahlergebnisse auch nicht durch eine analoge Auszählung überprüfen. Weil aber gerade das Vertrauen in den Ablauf von Wahlen besonders wichtig für eine Demokratie ist, hat das Bundesverfassungsgericht „Online-Wahlen“ bislang für unzulässig erklärt. Es ist aber keinesfalls ausgeschlossen, dass mit geeigneten technischen Absicherungen in Zukunft auch Computer bei Wahlen eingesetzt werden dürfen.