Wählen unter 18: Sollte das Wahlalter für die Bundestagswahl herabgesetzt werden?

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Während die einen es kaum erwarten zu können, ihre erste Autofahrt allein zu unternehmen, fiebern andere darauf, endlich wählen zu dürfen. Für beide Dinge muss man 18 Jahre alt sein. Wenn Du am 26. September also noch nicht volljährig bist, wirst Du auch keine Stimme bei der Bundestagswahl abgeben dürfen. Aber wieso eigentlich?

Die Frage, ab welchem Alter jemand wahlberechtigt ist, wird in unserer heutigen Gesellschaft immer wieder diskutiert. Es gibt viele Argumente weshalb das Wahlalter für die Bundestagswahl von derzeit 18 Jahren abgesenkt werden soll oder nicht. Befürworter:innen der Absenkung des Wahlalters verweisen auf den demographischen Wandel. In einer immer älter werdenden Gesellschaft sollen Jugendlichen ein echtes Mitbestimmungsrecht über ihre Zukunft erhalten. Denn die Konsequenzen politischer Entscheidungen treffen häufig auch Jugendliche und begleiten diese über viele Jahre. Durch eine Absenkung des Wahlalters würden die Bedürfnisse der jüngeren Generation im politischen Wettbewerb auch mehr Beachtung bei den politischen Parteien finden. Wer (wieder)gewählt werden wollte, müsste aktiv auch um Stimmen der Jugendlichen werben und dadurch diesen auch stärker zuhören. Kritiker:innen hingegen verweisen darauf, dass die Wahlentscheidung ein gewisses Maß an Reife, Einsichtigkeit und Verantwortungsbewusstsein erfordere, welches erst mit einer bestimmten Lebenserfahrung erreicht sein solle. Auch seien jüngere Menschen für politische Extrempositionen und Manipulationen empfänglicher. Dem entgegnen die Befürworter:innen, dass auch Erwachsene Manipulationen zugänglich sind und extreme politische Positionen vertreten würden.

In dem Artikel geht es heute aber lediglich um die rechtlichen Argumente in dieser Debatte. Was sagt das Grundgesetz zum Wahlalter? Art. 38 Abs. 2 GG sagt zunächst eindeutig, dass wahlberechtigt ist, wer das 18. Lebensjahr vollendet hat. Zur Absenkung des Wahlalters bedarf es also einer Änderung des Grundgesetzes. Unter welchen Bedingungen das Grundgesetz geändert werden kann, hat uns Philip Berger in einem Interview erklärt.

Doch gibt es rechtliche Wertungen oder Orientierungshilfen in unserer Verfassung die für ein bestimmtes höheres oder niedrigeres Wahlalter sprechen?

Liest man den Art. 38 Abs. 2 GG genau durch, erkennt man, dass für das aktive Wahlrecht (also wählen) eine Altersgrenze von 18. Jahren gilt, während für das passive Wahlrecht (also gewählt werden) die Volljährigkeit erreicht sein muss. Das war nicht immer so. Bis ins Jahr 1970 lautete Art. 38 Abs. 2 GG noch wie folgt: „Wahlberechtigt ist, wer das einundzwanzigste, wählbar ist, wer das fünfundzwanzigste Lebensjahr vollendet hat“. Eine Herabsetzung des Wahlalters ist also nichts Unvorstellbares, sondern fand durchaus schon einmal statt. Das Grundgesetz sieht gerade kein auf die Ewigkeit hin festgesetztes Wahlalter vor. Es steht grundsätzlich dem verfassungsändernden Gesetzgeber frei, dieses festzusetzen und zu ändern.

Die Begründung für die damalige Herabsetzung des Wahlalters im Jahr 1970 war der im Jahr 1968 erstmals beschlossene Art. 12a GG, der in Deutschland die allgemeine Wehrpflicht für Männer ab dem vollendeten 18. Lebensjahr einführte. Aus Sicht der damaligen Regierung sollte niemand zu einem Zwangsdienst an der Waffe verpflichtetet werden, der nicht auch bei Wahlen die Politik des Landes mitbestimmen durfte. Beobachter:innen weisen jedoch darauf hin, dass das Wahlalter wohl eher oder zumindest auch aus wahltaktischen Gründen herabgesetzt worden ist, da sich die jeweiligen politischen Parteien mehr Stimmen bei der nächsten Wahl von Jüngeren erhofften.

Ein weiteres Argument der Befürworter:innen der Herabsetzung des Wahlalters betrifft das Thema Steuern. Auch Minderjährige müssen etwa ihren Arbeitslohn oder ihr Ausbildungsgehalt versteuern. Die Befürworter:innen argumentieren, dass niemand dazu gezwungen werden sollte, Steuern zahlen zu müssen, wenn er oder sie keine Einflussmöglichkeiten auf die Steuergesetzgebung etwa durch die Stimmabgabe bei der Bundestagswahl hat. Die Kritiker:innen führen dagegen an, dass auch Ausländer:innen Steuern in Deutschland zahlen müssten, ohne dass ihnen ein Wahlrecht zusteht.

Einen anderen Blick auf Altersgrenzen verschafft uns das Grundgesetz, wenn wir die Grundrechte betrachten. Ist beim Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit auch ohne ausdrückliche Begründung klar, dass dieses Recht allen unabhängig von ihrem Alter zustehen muss, so spielt etwa bei der Religions- und Gewissensfreiheit in Art. 4 GG die tatsächliche Einsichtsfähigkeit eine Rolle. Bei diesem Grundrecht musst Du tatsächlich in der Lage sein, die Tragweite deiner Rechte und die sich daraus ergebender Pflichten zu erkennen und richtig einzuschätzen. Nur so kannst Du dieses Grundrecht selbstständig und frei ausüben. Diese Einsichtsfähigkeit lässt sich dabei aber nicht mit starren Altersgrenzen darstellen. Dies ist stets eine Frage des Einzelfalls. Jedoch geht der Gesetzgeber davon aus, dass Du Dir Deine Religion ab dem Alter von 14 Jahren selbstständig frei aussuchen kannst. Übertragen lässt sich diese Überlegung über die „Einsichtsfähigkeit“ auch auf das Wahlalter. Ob auch 16-jährige, denen man zuspricht hinsichtlich der Wahl ihrer Religion über die notwendige Einsichtsfähigkeit zu verfügen, diese auch bei einer Wahlentscheidung besitzen, ist aber eine gesellschaftliche Frage und keine rechtliche.

So wie die Kritiker:innen bei einer Herabsetzung des Wahlalters befürchten, dass die jungen Wähler:innen zu wenig Einsichtsfähigkeit besitzen würden, befürchten sie auch, dass mit einer Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre der Weg für eine Herabsetzung des Wahlalters auf Null Jahre geebnet wird. Die Befürworter:innen einer Herabsetzung des Wahlalters auf Null Jahre argumentieren, dass die Eltern bei der Wahl die Stimmen für ihre Kinder abgeben könnten. Dem dürfte Art. 38 Abs. 1 GG entgegenstehen. Der Wahlrechtsgrundsatz der Gleichheit der Wahl besagt, dass alle Wähler:innen ihr Wahlrecht in gleicher Weise ausüben können und jede gültige Wählerstimme den gleichen Einfluss auf das Wahlergebnis haben muss. Dürften Eltern für ihre Kinder Stimmen abgeben, so hätten sie faktisch mehr Stimmen als Wähler:innen ohne Kinder und das obwohl Kleinkinder noch nicht in der Lage sind, sich selbst eine politische Meinung zu bilden. Wie schwierig die Frage, wer und wann jemand für eine andere Person einen Wahlzettel ausfüllen darf zeigt der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Januar 2019 zu der Frage, ob etwa auch Betreute von der Wahl ausgeschlossen werden dürfen und wie sie ihr Stimmrecht effektiv etwa durch ihren Betreuer ausüben können.

Fazit: Nach der derzeitigen Rechtslage ist die Frage nach dem Wahlalter klar geregelt. Doch das Grundgesetz lässt dem verfassungsändernden Gesetzgeber viel Spielraum für eine Abänderung und auch für eine Herabsetzung des Wahlalters. Orientierung geben kann der Umstand, dass das Grundgesetz bei einigen Grundrechten selbst eine gewisse Einsichtsfähigkeit zur Ausübung dieser Freiheiten erfordert. Wann eine solche Einsichtsfähigkeit gegeben ist oder nicht, bleibt aber vielmehr ein gesellschaftliches und weniger ein rechtliches Problem.