Was macht die Demokratie des Grundgesetzes wehrhaft? –  Die Verwirkung von Grundrechten

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Wäre nächsten Sonntag Bundestagswahl, würde Umfragen zufolge ein Fünftel aller Wahlberechtigten am nächsten Sonntag für eine Partei stimmen, die der Verfassungsschutz in Teilen als „gesichert rechtsextrem“ einstuft. Im November letzten Jahres diskutierten Mitglieder rechtsextremer Gruppierungen gemeinsam mit Vertreter:innen aus Politik und Wirtschaft über eine „Remigration“, also die gewaltsame Deportation von Millionen in Deutschland lebender Menschen. Und bereits vor mehr als vier Jahre stellte das Verwaltungsgericht Meiningen fest, dass der AfD-Politiker Björn Höcke als Faschist bezeichnet werden darf. Höcke benutzt in Beiträgen und bei öffentlichen Auftritten immer wieder Worte wie „entartet“, „Umvolkung“ oder andere durch den Nationalsozialismus geprägte Begriffe. 

Eines ist klar: Demokratie- und menschenfeindlichen Tendenzen wirkt man am besten in der politischen Auseinandersetzung entgegen. So sieht es unsere Verfassung vor und so funktioniert – darauf aufbauend – seit knapp 75 Jahren unsere Demokratie. Gleichzeitig ist die Demokratie des Grundgesetzes „wehrhaft“. Sie muss also nicht tatenlos zusehen, wie sie bekämpft oder gar abgeschafft wird.  

Sichtbar wird die Wehrhaftigkeit der Demokratie vor allem an drei Stellen: dem Verbot von Parteien, dem Verbot von Vereinen sowie der Verwirkung von Grundrechten. Um die Verwirkung von Grundrechten geht es in diesem Beitrag. 

Was macht die Demokratie des Grundgesetzes „wehrhaft“? 

Grundrechte sind vor allem Freiheitsrechte: Freiheit ist die Regel und der Staat muss besonders begründen, warum und inwieweit diese Freiheit ausnahmsweise eingeschränkt wird. Davon profitieren grundsätzlich auch Menschen und Organisationen, die Grund- und Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie ablehnen. Die Verfassung nimmt das bewusst in Kauf: Sie lässt sich von ihren Gegner:innen viel gefallen, denn zu ihren wichtigsten Werten zählt die Meinungsfreiheit des Einzelnen genauso wie die Freiheit politischer Parteien. 

Wehrhaftigkeit bedeutet deshalb nicht, bestimmte Ideen oder Überzeugungen an sich zu bestrafen. Eine Grenze ist aber dann erreicht, wenn Menschen oder Organisationen die Freiheiten des Grundgesetzes bewusst dazu missbrauchen, um sie abzuschaffen. Dazu muss die reale Gefahr bestehen, dass einzelne Personen oder Gruppen darauf hinarbeiten, die bestehende Ordnung abzuschaffen. 

„Wer die Freiheiten der Meinungsäußerung mißbraucht…“ 

Im ersten Satz des Artikel 18 des Grundgesetzes, um den es im Folgenden geht, heißt es: „Wer die Freiheiten der Meinungsäußerung […] zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte.“ Der Begriff „Verwirken“ meint, dass die betroffene Person nicht mehr die Freiheiten bestimmter Grundrechte für sich in Anspruch nehmen kann. In einzelnen Bereichen gilt für sie dann also nicht mehr – wie oben beschrieben – die Freiheit als Grundregel und die Einschränkung als Ausnahme. Grundrechte, die verwirkt werden können, sind nach Artikel 18 neben der Meinungsfreiheit unter anderem die Pressefreiheit, die Lehrfreiheit (etwa für Dozent:innen an Universitäten) und die Versammlungsfreiheit (also das Recht, zu demonstrieren).  

Bei der Verwirkung von Grundrechten geht es also um einzelne Personen und nicht, wie bei dem Verbot von Parteien, um ganze Organisationen. Diskutiert wird die Maßnahme seit einiger Zeit vor allem mit Blick auf den bereits genannten Björn Höcke. Weit über eine Millionen Menschen haben bereits eine Petition unterschrieben, wonach geprüft werden soll, ob Höcke bestimmte Grundrechte verwirkt hat. Dazu müssten aber Bundestag, Bundesregierung oder die einzelnen Landesregierungen einen Antrag beim Bundesverfassungsgericht stellen, das für diese Prüfung zuständig ist.

Schwierig ist es, in solchen Verfahren nachzuweisen, dass die betroffene Person tatsächlich in der Lage ist, ihre politischen Ziele zu realisieren und damit die Demokratie zu gefährden. Wie konkret die Gefahr sein muss und welche Kriterien es hierfür gibt, wird im Einzelnen Thema unseres nächsten Beitrags zu Parteiverboten sein. 

Vor- und Nachteile eines Vorgehens gegen Einzelne 

Einzelne Personen tragen oft nicht unerheblich dazu bei, dass eine politische Partei verfassungsfeindlich(er) wird. Und auch losgelöst von einer Partei kann einzelnen Menschen durch öffentliche Auftritte oder durch soziale Medien große Aufmerksamkeit zuteilwerden. Dann kann es sinnvoll sein, gezielt gegen diejenigen Personen vorzugehen, deren Meinungsäußerung die Demokratie direkt gefährdet. Wenn etwa Björn Höcke seine Kanäle in den sozialen Medien nicht mehr uneingeschränkt nutzen oder auf Demonstrationen sprechen dürfte, würde ihn das in seinen demokratiefeindlichen Aktivitäten sicherlich stark einschränken. 

Auf der anderen Seite besteht durch solche Verfahren die Gefahr, demokratiefeindliche Tendenzen in Politik und Gesellschaft als das Werk einiger weniger Köpfe abzutun, die sich gezielt „stumm schalten“ lassen. Ein Gerichtsprozess kann von den Betroffenen außerdem dazu genutzt werden, sich als Opfer darzustellen und ihren Bekanntheitsgrad noch zu steigern. Häufig wird zudem gleichzeitig das Verbot einer ganzen Partei geprüft, dem eine breitere Wirkung zukommt und an dem das öffentliche Interesse jedenfalls auf Dauer größer ist.  

Es ist jedenfalls festzustellen, dass von den bisher vier eingeleiteten Verfahren nach Artikel 18 GG noch keines erfolgreich war – was nicht heißt, dass das in Zukunft so bleiben muss. Die Verwirkung von Grundrechten dient nicht dazu, vergangene Taten zu bestrafen, sondern soll Gefahren für die Demokratie vorbeugen. Es muss also nicht erst abgewartet werden, bis einzelne Personen ihre politischen Ziele in die Tat umgesetzt haben und damit die Ordnung des Grundgesetzes unmittelbar bedrohen.