Zum Jahrestag der Paulskirchenverfassung: Grundrechte von 1849 bis heute

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Der (geschichtliche) Weg zur Paulskirchenverfassung

Um den groben geschichtlichen Rahmen zu verstehen, in dem die Paulskirchenverfassung im Jahr 1849 entstanden ist, hilft zunächst ein Blick in das Jahr 1815. In diesem Jahr entstand während des Wiener Kongresses der „Deutsche Bund“, ein aus 38 Einzelstaaten bestehender Staatenbund. Einen vereinten deutschen Staat – wie heute die Bundesrepublik Deutschland – gab es zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht, obwohl sich das viele Menschen in den deutschen Einzelstaaten wünschten.

Kritik an dem Deutschen Bund entstand aber nicht nur aus dem Wunsch nach einem deutschen Nationalstaat. Die absolutistischen Herrscher der deutschen Einzelstaaten fanden darüber hinaus auch keine angemessene Reaktion auf die im 19. Jahrhundert einsetzende Massenarmut der deutschen Bevölkerung (sog. Pauperismus). In dieser Zeit wuchs die Bevölkerung erheblich schneller als die Zahl der Arbeitsplätze es im Zuge der Industrialisierung tat. So entstand ein Überangebot an Arbeitskräften, viele Menschen blieben arbeitslos und lebten an der Grenze des Existenzminimums. Gerade die Leidtragenden dieser Entwicklung begannen mit der Zeit, an der Legitimation der Herrschenden zu zweifeln.

Zudem gewannen liberale und demokratische Ideen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts immer mehr an Zustimmung in der öffentlichen Meinung. Insbesondere die liberalen städtischen Eliten sehnten sich nach einem Staat, der über eine geschriebene Verfassung verfügt und in dem die Macht vom Volk ausgehen und Gewaltenteilung herrschen sollte. Aufgrund des zunehmenden Einflusses dieser Eliten gaben sich zwar ab 1830 einige deutsche Einzelstaaten erste Verfassungen, in denen das Staatswesen – meist in Form einer Monarchie – geregelt war. Diese verliehen den „einfachen“ Bürger:innen allerdings noch keine Mitwirkungsrechte. Im Jahr 1847 formulierte das liberal-demokratischen Lager deshalb die klare Forderung, einen deutschen Nationalstaat zu gründen, in dem die Staatsgewalt vom Volk ausgehen sollte.

In den Folgemonaten kam es in den Städten vieler Einzelstaaten zu Protesten gegen die Herrschenden. Unter dem Druck der Bevölkerung akzeptierten die Einzelstaaten schließlich die Bildung eines gewählten Parlaments, die als „deutsche verfassungsgebende Nationalversammlung“ am 18. Mai 1848 zusammentrat. Diese sollte die künftige deutsche Verfassung ausarbeiten und beschließen und so das Fundament für einen (gesamt-)deutschen Nationalstaat legen. In ihr versammelten sich bereits unterschiedliche politische Strömungen: von Konservativen und Bürgerlich-Liberalen bis hin zu Demokraten und (demokratischen) Linken.

Nach zahlreichen Debatten war es schließlich am 28. März 1849 so weit: Die Nationalversammlung verkündete die „Verfassung des Deutschen Reiches“, die wir heute als Paulskirchenverfassung kennen.

Die Regelungen der Paulskirchenverfassung von damals bis heute

Die Paulskirchenverfassung stellte einen durchaus ehrgeizigen Versuch dar, nationalstaatliche, rechtsstaatliche und demokratische Elemente in das „neue“ Staatswesen einzuführen. Sie regelte zum einen die Organisation und den Aufbau des neuen Deutschen Reiches und schuf zum anderen auf nationaler Ebene erstmals Grundrechte für die deutschen Bürger:innen.

Diese Grundrechte waren in Abschnitt VI der Paulskirchenverfassung geregelt und vor allem als Freiheitsrechte für die Bürger:innen ausgestaltet, die dazu dienen sollten, sich gegen Eingriffe des Staates zur Wehr zu setzen. Ähnlich sieht es in unserem heutigen Grundgesetz aus, das Grundrechte ebenfalls häufig als Freiheitsrechte regelt. Teilweise haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes die Formulierungen der Paulskirchenverfassung sogar – mehr oder weniger wörtlich – übernommen.

So legte § 138 Satz 1 der Paulskirchenverfassung fest:

„Die Freiheit der Person ist unverletzlich.“

Diese ganz zentrale Regelung ist noch heute wortgleich in Art. 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes zu finden. Und auch ansonsten ähneln sich Grundgesetz und Paulskirchenverfassung in den übrigen Vorschriften zur Freiheit der Person. Beispielsweise legte die Paulskirchenverfassung in § 138 Satz 4 fest, dass die Polizeibehörde eine Person, die sie in Verwahrung genommen hat, im Laufe des folgenden Tages entweder freilassen oder einem Richter vorführen muss. Eine vergleichbare Vorschrift enthält das Grundgesetz in Art. 104 Absatz 3.

Darüber hinaus enthielt die Paulskirchenverfassung in § 143 eine Vorschrift zur Meinungs- und Pressefreiheit:

„Jeder Deutsche hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck und bildliche Darstellung seine Meinung frei zu äußern. Die Preßfreiheit darf unter keinen Umständen und in keiner Weise durch vorbeugende Maaßregeln […] beschränkt, suspendirt oder aufgehoben werden.“

Im Grundgesetz sind diese Freiheiten mit ganz ähnlichem Wortlaut in Art. 5 Absatz 1 geregelt. Die Meinungsfreiheit wird dabei vom Bundesverfassungsgericht sogar als „für die freiheitliche Demokratie schlechthin konstituierend“, d. h. in einer Demokratie unverzichtbar, angesehen.

Und auch die Religionsfreiheit fand bereits Eingang in die Paulskirchenverfassung. In § 144 hieß es:

„Jeder Deutsche hat volle Glaubens- und Gewissensfreiheit.“

Und in § 145 weiter:

„Jeder Deutsche ist unbeschränkt in der gemeinsamen häuslichen und öffentlichen Übung seiner Religion.“

Art. 4 Absatz 1des Grundgesetzes lautet im Vergleich:

„Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“

Zudem sah die Paulskirchenverfassung auch die Gleichheit aller Deutschen vor dem Gesetz vor und gewährte den Bürger:innen sogar – anders als etwa die spätere Weimarer Reichsverfassung – die Möglichkeit, gegen die Verletzung ihrer Grundrechte vor dem Reichsgericht zu klagen (§ 126 Buchstabe g). Damit waren die Grundrechte der Paulskirchenverfassung mehr als leere Versprechen oder bloße Programmsätze, sondern durchsetzbare Rechte.

Allerdings entsprachen nicht alle Regelungen der Paulskirchenverfassung dem heute vorherrschenden Zeitgeist. Beispielsweise galten viele Grundrechte nur für „Deutsche“, während das Grundgesetz einige Grundrechte enthält, die für „jedermann“, also auch für Nicht-Deutsche gelten (z.B. die Meinungsfreiheit in Art. 5 des Grundgesetzes). Außerdem sah die Paulskirchenverfassung eine Monarchie mit einem Kaiser als Reichsoberhaupt vor, dessen Stellung vererbt werden und der über weitreichende Kompetenzen im Staat verfügen sollte (§§ 68 ff. Paulskirchenverfassung). Zwar ist die Staatsform der (konstitutionellen) Monarchie innerhalb Europas immer noch verbreitet (z. B. in Großbritannien oder Spanien). Echte Machtpositionen, wie sie die Paulskirchenverfassung für den Kaiser vorsah, haben die Staatsoberhäupter aber heute praktisch nicht mehr.

Dennoch bleibt festzuhalten: Das Grundgesetz hat zentrale Ideen der Paulskirchenverfassung übernommen und bis in die heutige Zeit getragen. Auch wenn die Paulskirchenverfassung letztlich scheiterte und nie vollzogen wurde, hat sie den Weg geebnet für die deutsche Demokratie und die Grundrechte wie wir sie heute kennen.