Das Grundgesetz gilt als Fundament der deutschen Demokratie und des deutschen Rechtsstaates. Ein Leben in einem demokratischen, freiheitlichen Deutschland ohne Grundgesetz ist nur schwer vorstellbar. So gibt das Grundgesetz jedem Einzelnen Rechte, die sogenannten Grundrechte, auf die er sich gegenüber dem Staat berufen kann und die er auch vor Gericht durchsetzen kann. Weiter regelt das Grundgesetz verschiedene organisatorische Dinge, z.B. die Einrichtung und Befugnisse des Bundestages, der Bundesregierung und weiterer Verfassungsorgane. Und schließlich ist im Grundgesetz auch dargelegt, wie Gesetze verabschiedet werden.
Doch ist Deutschland bekanntlich nicht der einzige freiheitliche, demokratische Staat auf der Welt. In diesem Beitrag wollen wir uns deshalb anschauen, wie andere Staaten ihre fundamentalen Fragen geregelt haben. Hat jedes Land eine geschriebene Verfassung? Ist eine geschriebene Verfassung notwendig für eine Demokratie? Wird ein Staat durch eine Verfassung automatisch demokratisch?
Ein Blick in verschiedene Länder zeigt, wie vielfältig die Verfassungen dieser Welt sind. So haben viele westliche Demokratien eine geschriebene Verfassung (z.B. die „Constitution of the United States“ oder die „Constitution“ Frankreichs). Auch nicht westliche Demokratien haben eine geschriebene Verfassung z.B. Südafrika oder Indien. Andersrum hat Großbritannien, welches häufig als „Mutter der modernen Demokratie“ angesehen wird, keine geschriebene Verfassung. Das, was in Deutschland im Grundgesetz geregelt ist, hat sich in Großbritannien – stark vereinfacht ausgedrückt – über viele Jahrhunderte durch verschiedene Gesetze, die Rechtsprechung und verschiedene Gewohnheiten herausgebildet. Auch unser Nachbarland Österreich hat nicht ein Verfassungsgesetz, wie das deutsche Grundgesetz. Vielmehr gibt es verschiedene Verfassungstexte, die gemeinsam die wichtigsten Fragen regeln. Eine (einzige) geschriebene Verfassungsurkunde, wie das Grundgesetz, ist also nicht unbedingt notwendig für eine moderne Demokratie.
Andersherum ist ein geschriebenes Dokument, welches „Verfassung“ genannt wird, aber auch nicht ausreichend für eine freiheitliche Demokratie. So haben autoritäre Staaten wie Russland oder Nordkorea eine als solche bezeichnete geschriebene Verfassung. Auch Deutschland hatte mit der Weimarer Reichsverfassung schon eine Verfassung vor dem Grundgesetz. Doch konnte diese die Machtergreifung Hitlers und den anschließenden Umbau einer Demokratie in die Diktatur des Dritten Reichs nicht verhindern. Eine Verfassung allein kann also die Demokratie nicht vor Angriffen schützen.
Das Grundgesetz hat aber aus den Fehlern der Weimarer Reichsverfassung gelernt und sieht verschiedene Möglichkeiten vor, wie man sie gegen Angriffe verteidigen kann. So gibt es mit den Grundrechten, den Regeln zur Gesetzgebung, aber auch der Organisation des deutschen Staates insgesamt Regelungen, um die Macht des Staates gegenüber den Bürger:innen zu beschränken. Auch gibt es Artikel im Grundgesetz, die nicht einmal durch eine Verfassungsänderung geändert werden dürfen, z.B. Art. 1 GG (Die Würde des Menschen). Zuletzt sieht das Grundgesetz ausdrücklich vor, dass Verfassungsfeinde einzelne Grundrechte verwirken können (Art. 18 GG) und verfassungsfeindliche Vereine (Art. 9 GG) und Parteien (Art. 21 GG) verboten werden können. So soll ein Umsturz wie in der Weimarer Republik verhindert werden. Allerdings zeigt das Beispiel der deutschen Geschichte auch, dass eine Verfassung nur so stark ist, wie die Bürger:innen, die sich für sie einsetzen.
Doch Angriffe auf die Demokratie sind kein rein deutsches Problem – deshalb kennen auch andere Verfassungen Mittel der „Wehrhaftigkeit“. Diese sind jedoch häufig nicht so weitreichend. Beispielsweise ist die Verwirkung von Grundrechten im deutschen Grundgesetz (Art. 18 GG) in der Ausgestaltung einzigartig. Doch kennt die südkoreanische Verfassung ein dem deutschen Recht ähnliches Parteiverbot (Art. 8 Abs. 4 der südkoreanischen Verfassung). In Dänemark können ebenfalls, und durchaus ähnlich zu Deutschland, unter bestimmten, hohen Voraussetzungen Parteien durch das höchste dänische Gericht verboten werden (§ 78 Abs. 3, 4 dänische Verfassung).
In den USA richten sich die Mittel der Wehrhaftigkeit dagegen eher gegen Personen bzw. einzelne Ämter. So ermöglicht es die amerikanische Verfassung (Art. 2 sec. 4), den Präsidenten, Vize-Präsidenten und andere Beamte des Amtes zu entheben, wenn sie z.B. Staatsverrat begangen haben. Dieses Verfahren wird „impeachment“ genannt. Weiter sieht die amerikanische Verfassung vereinfacht ausgedrückt Möglichkeiten vor, Personen von politischen Ämtern, wie z.B. Senator:in oder Abgeordnete:r, fernzuhalten. So z.B. wenn sie als Inhaber:in einer staatlichen Position (beispielsweise als Abgeordnete:r) probiert haben, gegen die USA zu rebellieren (14. Amendment sec. 3). Ein Parteiverbot kennt die amerikanische Verfassung dagegen nicht.
Unabhängig von den Elementen der Wehrhaftigkeit ist das Grundgesetz eine Erfolgsgeschichte: Zahlreiche Länder haben sich an ihm für ihre eigene Verfassung orientiert. Doch hat dieser kurze Beitrag vor Augen geführt, dass ein einzelnes geschriebenes Verfassungsdokument für einen freiheitlichen, demokratischen Staat weder zwingend erforderlich noch ausreichreichend ist. Gerade letzterer Punkt ist von besonderer Bedeutung; er macht deutlich, dass jede:r Einzelne von uns Verantwortung dafür trägt, das Grundgesetz und die Demokratie zu erhalten!